Brasilien wird zur Weltwirtschaftsmacht. Der Einzelhandel ist und bleibt dabei die dynamischste Branche. Und jetzt kommt auch noch die Fußball-Weltmeisterschaft.
Brasilien ist groß, in vielerlei Hinsicht: Es hat zum Beispiel die mit Abstand größte Fläche in Südamerika (die fünftgrößte weltweit). Und es hat die größte Bevölkerung des Kontinents (ebenfalls die fünftgrößte weltweit). Brasilien ist gegensätzlich. Das Leben im extrem dicht besiedelten Süden und Osten — vor allem in den riesigen Metropolen — hat nichts gemein mit dem Dasein in den einsamen Weiten des Nordens und Westens. Und die Kluft zwischen arm und reich ist kaum irgendwo auf der Welt so drastisch. „So wie das ganze Land, so ist auch der Einzelhandel“, sagt Natascha Trennepohl. Die Juristin ist gebürtige Brasilianerin, lebt jetzt in Hamburg und berät Unternehmen, die mit und in Brasilien Geschäfte machen wollen. „Es gibt riesige regionale Unterschiede“, erklärt Trennepohl. Die brasilianische Vereinigung der Shopping-Center-Betreiber (Abrasce) hat dafür eindrucksvolle Zahlen: Fast drei Viertel aller Einkaufszentren des Landes lie gen in den Bundesstaaten im Süden und Südosten. Im ganzen restlichen Land dominiert eindeutig der traditionelle, kleine Einzelhandel. Einkaufszentren entstehen dort, wo die Wirtschaft sich auch sonst gut entwickelt. Da hängt viel an der Infrastruktur — die ist immer noch vielerorts erbärmlich. Nach offiziellen Schätzungen verbrennen absurd hohe Logistikkosten im Schnitt 20 Prozent der Unternehmensumsätze.
Da verwundert es nicht, dass trotz der Bedeutung der Branche für Brasiliens Volkswirtschaft das wichtigste Handelshaus nur auf Platz 18 der größten Unternehmen des Landes liegt: Brasil Distribuição aus São Paulo macht mit 63.000 Mitarbeitern umgerechnet zwar 4,7 Mrd. Euro Umsatz, aber nur 29 Mio. Euro Gewinn. Und auch so mancher ansonsten weltweit aktiver Handelsriese fasst Brasilien (noch) mit spitzen Fingern an: Zum Beispiel sind die großen Drei aus Deutschland (Schwarz, Metro, Aldi) am Zuckerhut nicht präsent. Gerade die Gegensätzlichkeit der Branche (und des Landes) bietet aber Gelegenheiten. „Für spezialisierte Einzelhändler ist Brasilien ein Top-Ziel“, sagtMirko Warschun, Leiter Konsumgüterindustrie und Handel für Deutschland, Österreich und die Schweiz bei A.T. Kearney. Das liege vor allem an der relativ jungen Bevölkerung sowie an den hohen Pro-Kopf-Ausgaben für Bekleidung und Luxusgüter. Die ganze Branche bekomme derzeit Rückenwind von den sportl ichen Großereignissen der kommenden Zeit (Fußball-WM 2014, Olympische Sommerspiele 2016), von niedrigen Grundstückspreisen und von steigenden Haushaltseinkommen auch in kleineren Städten. Natascha Trennepohl weist dann noch auf einen kulturellen Aspekt hin: Einkaufszentren spielen in Brasilien eine besondere soziale Rolle. Fast immer beherbergen sie auch Restaurants, Kinos oder sogar Theater. „Oft gibt es in der Nachbarschaft kaum andere Freizeitangebote“, weiß Trennepohl. Dazu kommt, dass Einkaufszentren gut bewacht sind und daher als sicher gelten. Angesichts der hohen Verbrechensrate in Brasilien ist das ein wichtiger Punkt.
„Vergessen Sie das Deutsch-Sein!“
Ihr Rat für deutsche Einzelhändler in Brasilien?
Vergessen Sie deutsche Ladenöffnungszeiten. Vergessen Sie das Deutsch-Sein. Und: Setzen Sie auf E-Commerce.
Und was sind besondere Konsumeigenschaften des brasilianischen Kunden?
Wir haben eine große Gruppe von konsumorientierten Kunden mit immer mehr Einkommen, die oft auf Kredit kauft. Andererseits sind das auch bewusste Verbraucher, die ihre Rechte kennen und einfordern. Und, sehr wichtig: Der brasilianische Kunde wechselt immer stärker zum E-Commerce.
Brasiliens Volkswirtschaft hängt vor allem am privaten Konsum. Er steht für über 60 Prozent der Wirtschaftsleistung, so HSBC Trinkaus & Burkhardt. Wiederum 60 Prozent davon spielen nach Angaben des staatlichen Instituts für Geografie und Statistik (Instituto Brasileiro de Geografia e Estatística, IBGE) die Supermärkte ein. Der restliche Einzelhandel, vor allem bei Einrichtungsgegenständen und der Unterhaltungselektronik, profitiert zunehmend von einem im Juni 2013 aufgelegten staatlichen Kreditprogramm für Familien mit niedrigem Einkommen (Minha Casa Melhor). Nicht zuletzt diese staatlichen Programme machen Brasilien für den Experten Warschun zu einem attraktiven Investitionsziel auch für den Handel. „Die sogenannten BRIC-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China) haben eine ungebrochene Wachstumsdynamik“, erklärt Experte Warschun. „Doch für die Expansion benötigen die internationalen Handelsunternehmen in den Entwicklungsländern die richtige und maßgeschneiderte Strategie .“ Die Umsätze der Metro Group, von Wal-Mart, Carrefour und Tesco seien dort in den vergangenen fünf Jahren durchschnittlich zweieinhalb Mal schneller gewachsen als in etablierten Märkten. Doch manchmal steht sich das Land noch selbst im Weg. Das riesige ökonomische Potenzial wird nicht ausgeschöpft — zum Beispiel wegen des berüchtigten „Custo Brasil“: zu hohe Steuern, zu hohe Löhne. Und zu hohe Finanzierungskosten, vor allem für ausländische Unternehmen. Langfristige zinsgünstige Kredite vergibt die nationale Entwicklungsbank BNDES nur an brasilianische Firmen. Und dann ist da auch die allgegenwärtige Mischung aus Korruption und Pfusch. Bestes Beispiel: Curitiba. Die Hauptstadt des Bundesstaates Paraná sollte ein Spielort der WM sein. Problem: Aus unerfindlichen Gründen ist das neue Luxusstadion wenige Wochen vor dem Anpfiff noch eine Baustelle. Der Weltfußballverband FIFA wollte sogar erstmals in seiner Geschichte einen festgelegten Spielort wieder streichen. Das trauten die Funktionäre sich dann doch nicht. Nun wird in Curitiba gespielt — vermutlich in einer halbfertigen Riesenarena.